Sprachflut (Spraakwater)

Zusammenfassung
An einem unbedeutenden, kalten Tag im April taucht ein unbekannter Mann im Küstenort Sheerness auf. Niemand kennt ihn. Er sagt kein Wort. Er wird Anlass von Vermutungen und Spekulationen. Er verweigert sich. Er macht nicht mehr mit. Er wird zur Projektionsfläche. Er bringt die Welt ins Wanken. Und eines Tages beginnt er, Klavier zu spielen.

Die Redaktion über ihrer Auswahl:
Der Text SPRACHFLUT des Autoren und Regisseurs Frank Siera wurde von der Geschichte des Piano-Mannes inspiriert. Das Geheimnis um den unbekannten Mann, der auf dem Strand von Sheerness angespült wurde, erhielt 2005 große mediale Aufmerksamkeit. Er war in verwirrtem Zustand, hatte keine Ausweispapiere bei sich und schwieg wochenlang. Frank Siera verwendet dieses Ereignis, um auf die Gemeinschaft des kleinen Küstenortes einzuzoomen, dessen Bewohner in heller Aufregung sind. Was man nicht sagen kann, darüber soll man schweigen. Siera erhält das Geheimnis aufrecht und interessiert sich stattdessen mehr für die Folgen eines Ereignisses und das Unsagbare. Sein kaleidoskopartiger Text konzentriert sich auf die Mitglieder der Gemeinschaft, die dem Mann auf unterschiedliche Arten begegnen: der Polizist Bill, Schwester Jenny, Metzger Björn und die vier starken Männer, die das Klavier bringen, nachdem der Unbekannte das Instrument gezeichnet hat. Der Mann schweigt; wir hören nur Gedanken. Die Anderen sprechen. Wir hören ein konstantes Gesäusel, das um den Mann kreist. Die Perspektive wechselt ständig; es sind alles vorsichtige Annäherungen. Der Text ist eindringlich, poetisch und musikalisch, und ist eigentlich vor allem eine fragmentarische Komposition. Siera arbeitet die Thematik auf universelle Art heraus, ohne zu viel zu ergänzen. Die Tatsache eines Fremden in der Gemeinschaft, die schwierigen Annäherungen und Kommunikationsprobleme regen die Phantasie an. In Zeiten von Flüchtlingsströmen im Mittelmeer beispielsweise und dem Bild von angespülten Ertrunkenen am Strand bekommt der Text zusätzliche Aktualität, auch wenn die Politik bei Siera in der Mehrdeutigkeit der Poesie schlummert. Der Text konzentriert sich auf die Menschlichkeit, auf wiedererkennbare Schwächen, das Scheitern, Fallen und Verlangen. Er handelt von der Verwirrung. Der unbekannte Mann hat sein Zuhause und seine Identität verloren, doch die Gemeinschaft des beschaulichen Küstenortes ist ebenfalls durcheinander. SPRACHFLUT erzählt auch die Geschichte einer verlorenen Liebe und der Suche nach Geborgenheit. Das Meer kann genauso trostreich sein wie ein Mutterschoß. Siera hat in den letzten Jahren ein besonderes Idiom in seinen polyphonen Texten entwickelt, deren Ursprung häufig in der Aktualität liegt. Siera interessiert sich allerdings nicht für mögliche psychologische Erklärungen oder eine konkrete Wiedergabe der Ereignisse. Seine Stücke sind keine expliziten Dokumentationen, sondern musikalische Reaktionen und Vertonungen einer Nachrichtenmeldung, die viel Raum für Interpretationen und Deutungen lassen.

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